INTERVIEW aus dem Soester Anzeiger vom 04.05.2023 Liederkranz Höingen und Leiter Stefan Risse feiern doppeltes Jubiläum
Höingen – Ein Chor und sein Leiter, zwei Jubiläen, drei Tage Programm: Der Männergesangverein Liederkranz Höingen gründete sich vor 125 Jahren, wenige Jahre nach dem Männerchor Cäcilia Voßwinkel, mit dem er vor 15 Jahren Verbrüderung feierte. Stefan Risse, selber Höinger, begeht parallel sein 40-jähriges Jubelfest als Chorleiter. Beides soll in einem Rutsch gefeiert werden – mit gleich drei Veranstaltungen in der Schützenhalle Höingen.
Den Auftakt bildet am Freitag, 12. Mai, ab 19.30 Uhr eine Jubiläumsgala der Chöre, die Risse aktuell leitet. Solisten sind seine Tochter Johanna Risse (Sopran) und Pianist Wolfgang Bitter, dazu gibt es Grußworte von Bürgermeister Rainer Busemann und Thomas Klebsattel als Vertreter der Höinger Vereine sowie Ehrungen durch den Chorverband. Die Höinger feiern wiederum ihren Geburtstag mit acht weiteren Gastchören am folgenden Abend ab 19 Uhr – darunter auch ein Chor unter der Leitung des Kabarettisten Martin F. Risse, Bruder des Jubilars und früheres Mitglied im Ensemble des Dortmunder Geierabends. Den Ausklang bildet am Sonntag, 14. Mai, ab 11 Uhr ein Frühschoppen mit dem Musikverein Höingen.
Über das Jubiläum sprach Klaus Bunte (Soester Anzeiger) mit Chorleiter Stefan Risse sowie den beiden Vorsitzenden Heinrich Thüner (Höingen) und Thomas Wittmann (Voßwinkel).
Ihre Chöre fusionierten aufgrund des für Männerchöre üblichen Mitgliederschwunds schon vor 15 Jahren. Wie hat sich seither die Mitgliederzahl entwickelt?
Heinrich Thüner: Wir konnten uns seither sogar steigern, von 33 auf 44 aktive Sänger, das Durchschnittsalter beträgt allerdings 68 Jahre.
Wie haben Sie das geschafft?
Heinrich Thüner: Indem wir Projektchöre gebildet und dazu eingeladen haben, mal mit einem Chor ein Konzert aufzuführen – ganz ohne Mitgliedszwang. Damit haben wir auch gezielt ungeübte Männerstimmen angesprochen.
Wie hat sich Corona auf den Chor ausgewirkt?
Heinrich Thüner: Der Zusammenhalt ist stärker geworden, und durch unser intaktes Vereinsleben haben wir diese schwierige Zeit sehr gut überstanden.
Was müsste sich generell im Chorwesen allgemein und bei den Männerchören im Speziellen ändern, damit sie nicht weiterhin durch Überalterung wegsterben? Was wäre die „Handbremse“?
Thomas Wittmann: Ich denke, dafür gibt es kein Universalrezept. Ein Grund, warum es die Chorgemeinschaft noch gibt, ist unsere Offenheit gegenüber Sängern, die nicht aus dem Ort sind, oder auch die Akzeptanz gegenüber sogenannten Projektsängern. Wir werden auch in Zukunft flexibel und tolerant bleiben.
Die Voßwinkler hatten ihr 125-Jähriges schon in 2017. Haben Sie das ähnlich groß aufgezogen?
Thomas Wittmann: Ja, unser Fest fand unterm Zelt im Wildwald Voßwinkel statt. Die Umgebung dort bietet durch die Nähe zur Natur eine positive Atmosphäre und das Zelt eine sehr gute Akustik.
Warum haben beide Teilchöre eigentlich immer noch je einen eigenen Vorstand?
Stefan Risse: Es macht die Sache einfach unkompliziert. Es läuft gut so, warum soll man es ändern? So bleiben beide Chöre selbstständig und die Bindungen zu den beiden Ortsteilen bleiben bestehen. Wir machen ja sonst alles andere zusammen.
Heinrich Thüner: Von Anfang an sollten beide Chöre in ihrer Dorfgemeinschaft für sich präsent und eigenständig bleiben. Die Vereinsarbeit gestaltet sich innerhalb der Vorstände völlig unkompliziert.
Thomas Wittmann: Tatsächlich ist es uns wichtig, den Kontakt in den einzelnen Dörfern aufrechtzuerhalten. Auf die Art und Weise bleibt ein Stück Dorfidentität bestehen. Und dies ist ein Ziel jeglicher Dorfvereine, nicht nur der Chöre.
Herr Risse, an wie vielen Abenden der Woche sind Sie mit Chorproben beschäftigt?
Stefan Risse: Aktuell an zwei bis dreien. Ein gemischter Chor, den ich habe, probt immer nur an zwei von drei Dienstagen.
Worin liegt Ihre Motivation, was ist Ihre Triebfeder?
Stefan Risse: Es macht Spaß! Sowohl mit reinen Männerchören wie mit den gemischten.
Heinrich Thüner: Es gibt keinen besseren Motivator als unseren Chorleiter, der uns Laiensänger mit so viel Freude, Engagement und Geduld immer wieder überrascht, wozu wir fähig sind.
Herr Risse, Sie sind Jahrgang 1963. Kommt für Sie ein Ruhestand überhaupt infrage oder dirigieren Sie, bis Sie umfallen?
Stefan Risse: Darüber mache ich mir heute noch keine Gedanken.
Heinrich Thüner: Von Rente reden ist heute wirklich noch etwas früh und die allermeisten Sänger sind ja selber schon Rentner, sodass man es sich ohne ihn nicht vorstellen kann.
Thomas Wittmann: Nach 38 Jahren freundschaftlicher Zusammenarbeit können wir uns eine Chorgemeinschaft ohne Stefan nicht vorstellen. Wir hoffen natürlich alle, dass Stefan noch recht lange Spaß an der Chorarbeit mit uns behält.
Den Voßwinkler Chor leiten Sie wohl am längsten, seit 38 Jahren. Worin besteht die besondere Chemie zwischen Ihnen und dem Chor?
Stefan Risse: Das passt einfach. Als ich den Chor übernahm, da war ich 22. Es hat immer gut geklappt, immer Spaß gemacht, wir haben immer gut zusammengehalten. Und das ist das Wichtigste: Das Singen im Hobby muss Spaß machen. Aber der Chorgemeinschaft bin ich ja noch länger verbunden: Bereits mit 15 Jahren wurde ich aktiver Sänger beim Liederkranz. Einige Sänger, die schon damals mit mir zusammen sangen, sind zum Glück noch heute dabei. Der damalige Chorleiter Alfons Senft war mein Lehrer und großes Vorbild. Ich hatte bei ihm nicht nur Klavier- und Orgelunterricht, er leitete auch die Chorleiterlehrgänge, an denen ich als Jugendlicher teilnahm. All die Erfahrungen, die ich im Männerchor und im Jungen Chor der Musikschule Werl-Wickede-Ense bei ihm sammeln durfte, haben meinen Werdegang als Chorleiter entscheidend geprägt.
Heinrich Thüner: Ich selbst habe 1987 im MGV unter Alfons Senft das Chorsingen angefangen und Stefan damals als jungen Sänger kennengelernt. Daraus ist eine tiefgründige Freundschaft entstanden, ohne dass irgendwelche Sänger herausgehoben werden. Es werden alle gleich behandelt und er hat für jeden ein offenes Ohr.
Voßwinkel haben Sie bis zur Fusion zu drei Meistertiteln geführt, die Chorgemeinschaft weitere drei Male, standen 2018 mit ihr im Finale des WDR-Wettbewerbs „Der beste Chor im Westen“. Wie animieren Sie ihre Mannen und andere Meisterchöre zu solchen Höhenflügen? Manch einer könnte doch auch sagen: Das ist mein Hobby, solch einem Leistungsdruck mag ich mich nicht stellen.
Stefan Risse: Diese Leute wollen auch in ihrem Hobby etwas Vernünftiges abliefern. Die wollen vernünftig singen. Warum will eine Fußballmannschaft aufsteigen? Weil es ein Ansporn ist. Und wenn man ein Ziel hat, das Leistung erfordert, dann sind die Beteiligung und das Engagement der Sänger immer am größten.
Heinrich Thüner: Genauso sehen wir das vom Chor. Wir wollen nicht herumdümpeln, sondern jeder Verein benötigt Ziele. Aber Ziele, die man auch erreichen kann – und das haben wir immer geschafft.
Thomas Wittmann: In den Jahren der Meisterchor-Prüfungen ging immer ein Ruck durch die Reihen der Sänger. Die Einstellung der Sänger äußerte sich unter anderem in der Teilnahme an der Probenarbeit. Im Vorfeld der Prüfungen bot sich immer die Möglichkeit zur Anwerbung neuer Sänger.
Herr Risse, was waren, neben dem WDR-Wettbewerb, in den vergangenen 40 Jahren die großen Highlights für Sie?
Stefan Risse: Neben vielen Konzerten und Auftritten bei großen und weniger großen Anlässen in der näheren Umgebung hatte ich das große Glück, mit meinen Chören Konzerte nicht nur in vielen Teilen Deutschlands, sondern weit darüber hinaus in Ländern Europas wie Estland, Lettland, Belgien, Irland, Frankreich, Italien, Ungarn oder die Tschechische Republik und in Übersee, in den USA, Thailand und Südafrika, geben zu dürfen. Dabei war die Unterschiedlichkeit der Reisen mit all ihren Besonderheiten einfach unvergesslich. Zu sehen, wie die thailändischen Bediensteten im Oriental-Hotel in Bangkok beim Empfang des deutschen Botschafters ihre Tränen nicht zurückhalten konnten, weil ein europäischer Chor die Königshymne in ihrer Sprache gesungen hat, oder die großen Augen der Kinder in einer Farmschule in Südafrika, die sich wunderten, dass diese Menschen vom andern Ende der Welt ein Wiegenlied in ihrer Sprache, also Zulu sangen – und wir wussten, dass viele Kinder ihr 15. Lebensjahr wegen der Aidserkrankung nicht erleben würden. Oder als die große Männerchorgemeinschaft mit Sängern aus Voßwinkel, Lüdenscheid und Höingen in Rom in allen vier großen Kathedralen sang und unter anderem eine Messe im Petersdom mitgestalten durfte. All diese Reisen und Konzerte, die vielen wunderbaren Erlebnisse, sind für mich ein Geschenk, das ich ohne das Engagement der zahlreichen Sängerinnen und Sänger nicht bekommen hätte. Dafür kann ich nur „Danke“ sagen.
Und was waren die Highlights für den Chor?
Heinrich Thüner: Zum einen die erste große Chorfahrt mit zwei vollbesetzten Bussen zum Balaton nach Ungarn, später gings zum Gardasee mit Venedig, Verona mit Kurzauftritt in der Arena, etliche Weihnachtskonzerte mit Cäcilia Westönnen in der Basilika und Propsteikirche, mit Voßwinkel Konzerte im Wildwald, unsere vielen Meisterchor-Titel, letztes Jahr das Weihnachtskonzert „Und Du Bethlehem” von Michael Schmoll trotz aller Corona-Schwierigkeiten, das Finale von „Der beste Chor im Westen“. Ein besonderes Highlight ist unsere Kameradschaft und Freundschaft, die wir aktiv im Chor leben.
Und was sticht am Jubiläumswochenende heraus?
Stefan Risse: Am Freitagabend sind zum Beispiel einige Damen aus meinem früheren Jugendchor „Young Generation“ dabei, die hatten auf einmal Bock, wieder was zu singen. Und den Schluss des Konzertes habe ich genannt: Jahrtausendchor. Das sind die gemischten Chöre und die Männerchöre, die zwei Stücke von Joseph Rheinberger und von Karl Jenkins zusammen singen. Genannt habe ich ihn so, weil das über hundert Leute sind und es somit der größte Chor ist, der in diesem Jahrtausend auf der Bühne der Höinger Schützenhalle gestanden hat.
Die Gastchöre:
Freitag: CHORios, Young Generation (Revivalchor), amante della musica Menden.
Samstag: Bilmer Tonart, MGV „Cäcilia“ Volkringhausen, „Taktvoll“ (der gemischte Chor des MGV Cäcilia Lüttringen), „Heartchor“ MGV Lüttringen, „Hömma“ (Ruhrgebiets-Chor aus Dortmund), „Sound Celebration“ (Barbershop-Frauenchor aus Bergkamen), Cantalinos (Jugendchor aus Wickede), Belcanto Höingen.